Sonntag, 5. Oktober 2014

Finnisches Feuer - Johanna Sinisalo


Titel: Finnisches Feuer
Autorin: Johanna Sinisalo
Originaltitel: Auringon ydin
Verlag: Tropen-Verlag Label von Klett-Cotta
ISBN: 978-3608501445
Euro: 21,95
Veröffentlichungsdatum: Juli 2014
Seiten: 318
Kein Serientitel
Come in: Vom Verlag


Inhalt

Finnland in naher Zukunft. Vera und Mira sind Schwestern und wachsen nach dem Tod ihrer Eltern bei der Großmutter in Finland auf dem Lande auf. Sie haben keinen leichten Stand, denn seit einigen Jahren ist es üblich, Frauen und Mädchen in "Eloi" und "Morlocks" zu unterteilen, wobei letzteres streng verboten ist. So sind Frauen eben alle blond, hübsch, rosenknopsenmundig, selbstverständlich unterrichtet, aber ungebildet, haben keine Ausbildung und heiraten schnellstmöglich.
Vera möchte sich diesem Ideal nicht unterwerfen, sie spielt gerne auch mit Eisenbahnen, kann schnell und gut lesen, verschlingt alle Bücher, die die Großmutter versteckt und sagt, was sie denkt. Aber sie darf das eigentlich nicht.
Auf der höheren Töchterschule, auf der beide lernen, dem zukünftigen Mann ein angenehmes Leben zu bereiten, kommt Vera mit streng verbotenen Chilischoten in Kontakt. Die eine besondere Sorte "Finnisches Feuer" wird ihre Zukunft bestimmen. Ebenso wie die Suche nach der geliebten Eloi-Schwester, die kurz nach ihrer Heirat spurlos verschwindet.


Meinung

Leicht zu beschreiben ist dieser Roman nicht, zu wenig Worte für den Inhalt, zu gering umrissen für dieses grandiose Werk. Leider kommt das Buch recht unscheinbar daher, obwohl dystopisch nicht mainstream genug, um vom Massenleser gefunden zu werden.
Nur wenige Jahre in unserer Zukunft angesiedelt, erinnert Sinisalos finnische Euristokratie an die Fünfziger Jahre. Das Gesundheitsamt hat die Sache in die Hand genommen und Einfluss auf einfach jeden Lebensbereich der Bürger ausgeübt. Koffein, Alkohol, Nikotin sind längst abgeschafft und verbannt, Handys und andere Neuerungen der modernen Welt existieren nicht mehr - jedenfalls nicht in Finnland. Der Paarungsmarkt ist streng geregelt, Frauen werden passend gezüchtet. Elois sind paarungsbereit, willig, schön und vor allem jung. Sie kleiden sich auf eine bestimmte Art, sprechen auf eine bestimmte Art, sind in den wesentlichen Dingen ihr Leben lang abhängig vom Mann, dem sie einst angehören werden. Morlocks bleiben außerhalb des Paarungsmarktes, sie gehören nicht ins Raster und sind damit streng verboten. Aber obwohl sich die Autorin auf die Frauen und besonders die beiden Schwestern konzentriert, gilt Ähnliches ebenfalls für Männer, die in Maskos (Alphamännchen) und Minusmänner aufgeteilt werden.
Alles für das Allgemeinwohl.
Vera nun begegnet der Leser das erste Mal unweit des Grabes ihrer jüngeren Schwester, die nicht darin liegt, wo sie Chilischoten kauft. Die einzige "Droge", die noch nicht ausgerottet werden konnte, die aber streng verboten ist. Die junge Frau erzählt ihre Geschichte in einer Art Briefform, die sie direkt an ihre geliebte, verschollene, aber für tot erklärte Schwester richtet. Darin erzählt sie ihr von der gemeinsamen Kindheit und davon, wie schwer es für sie war, sich anpassen zu müssen. Nicht nur die Rechtschreibfehler, die sie in Schularbeiten absichtlich einarbeiten musste, auch das Fehlen jeglicher Bildung und zunächst keiner Möglichkeit, sich diese zu beschaffen. Auch die Unterschiedlichkeit der beiden Schwestern wird angesprochen, wie Vera von ihr lernen musste, sich wie eine brave Eloi zu verhalten. Wie sehr die Unterschiedlichkeit und die Unterteilung beide Schwestern entfremdet hat - ein Umstand, der Frauen weltweit auch heute noch voneinander trennt, sie gegeneinander antreten lässt, statt gemeinsam für gemeinsame Ziele zu kämpfen.
Vera kann nicht verhindern, dass ihre Schwester mit fünfzehn Jahren heiratet und auch wie. Sie kann ihr das Leben danach nicht angenehmer gestalten. Sie kann nur träumen, von einer anderen Welt, einer besseren. Die Chilischote und das darin enthaltene Capsaicin helfen ihr, über so manches hinweg zu kommen, schließlich auch das Verschwinden ihrer Schwester, die sie vergeblich sucht.
Aufmerksame und historisch ein wenig bewanderte Leser werden zahlreiche Beispiele und Anleihen finden. Zwischen den einzelnen Kapiteln gibt es immer wieder Einschübe in Form von Gesetzestexten und ähnlichem, die Veras Situation und die politische Ausgestaltung von Sinisalos Finnland verdeutlichen.
Veras Situation und ihre Suche spitzen sich immer weiter zu. Sie beginnt, aus der aktuellen Perspektive zu berichten, stets emotional und sehr eindringlich. Nahe am Leser, eine Welt schildernd, die möglich scheint, weil sie einst möglich war. Zwischen Diktatur, Rassenwahn, Kontrolle, Wahn in allen Facetten sucht eine junge Frau ihren Horizont und ihren Geist zu erweitern, was ihr schließlich das Capsaicin ermöglichen soll. Am Ende wird, wie bei Sinisalo offenbar üblich, keine klare Lösung präsentiert. Das Ende vermittelt Eindrücke, wie sie wohl jemand empfinden würde, der völlig berauscht ist und alles scheint möglich.
Johanna Sinsisalo hat einen überaus tiefgreifenden Roman geschrieben, ausdrucksvoll, feinfühlig, beklemmend, lebendig, politisch, feministisch. Nicht alle Leser werden die Metaphern und Codes verstehen, die sie im Text untergebracht hat, zum Nachdenken regt die Geschichte nach aller packenden Unrerhaltsamkeit aber auf jeden Fall an.
Muss gelesen werden!


Johanna Sinisalo wurde 1958 im finnischen Lappland geboren. Schon vor ihrem literarischen Debüt war sie als Autorin von Science-Fiction- und Fantasy-Geschichten sowie als Drehbuchautorin und Comic-Texterin bekannt. »Finnisches Feuer« ist ihr siebter Roman.
Außerdem ist sie auch als Drehbuchautorin tätig gewesen, nicht zuletzt für "Iron Sky-Wir kommen in Frieden".
Johanna Sinisalos Werke wurden in fast 20 Sprachen übersetzt. Neben weiteren
literarischen Auszeichnungen erhielt sie 2000 den Finlandia-Preis für ihren
Debütroman Troll: Eine Liebesgeschichte (Ennen päivänlaskua ei voi).

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